Der grösste Gleitschirm-Sandkasten

Republic of Peru (siehe auch DHV Info 112)

"Du schaust ja aus wie frisch gepudert" sagt der Monaco Franzi. Dieter kommt gerade von einem 2 Stunden Start-, Flug- und Landemarathon zu mir. "Gib mir was zu trinken! Ich bin fertig." Wir fliegen in Paracas, an der Pazifikküste von Peru. Dieter hat sich und seinen Astral ständig in der Luft gehalten, er selber war am Boden, in der warmen, sonnigen Luft, mal 10 cm oder 30 m über Grund. Die Meeresfeuchte, die angenehme Wärme, die Anstrengung und der feine Küstensand lassen ihn jetzt wie frisch gepudert aussehen!

Kurzentschlossen fuhren wir Mitte November nach Lima, um dort mit Freunden die Gleitschirmmöglichkeiten zu erkunden. Direkt vor unserer Unterkunft in Lima Mirafiores finden wir das Hauptfluggebiet des Landes. Der Startplatz liegt ca. 70 m über dem Pazifik im Nobelvorort Mirafiores. Nach unserer Kriterien ist eigentlich kein Startplatz hier zu sehen. Auf der Ebene ziehen die einheimischen Flieger den Schirm rückwärts in die Luft, drehen sich aus und laufen bzw. werden zur Kante vorgeschoben. Der laminare 20er Seewind hebt sie jetzt einfach nach oben. Ab der Kante fällt das Gelände senkrecht ab, unten ist eine vielbefahrene Strasse, Strand und Meer. Ein Startabbruch an der Kante muss fatal enden!


Aber der Flug ist eine Schau. Ruhig steigst du nach wenigen Flugsekunden weit über die Kante auf, soarst zum nächsten Hochhaus, dann zum übernächsten, fliegst wieder zurück und beim nächsten Versuch geht der Flug noch weiter weg vom Startplatz, der auch gleichzeitig der Landeplatz ist. Die einheimischen Piloten kümmern sich prächtig um dich europäisches Greenhorn. Einige sprechen zum Glück auch englisch, so dass wir auch den Sinn ihrer Worte erkennen. Die Tipps sind wirklich viel wert, da die Flugbedingungen ganz andere wie in den Alpen/Mittelgebirgen sind. Die einzig wirkliche Gefahr besteht bei allen Soaringplätzen, dass der Seewind zu stark auffrischt oder der Europäer den Rückwärtsstart nicht beherrscht. Ein geübter Peruanischen Pilot kann am Wellenbild des Pazifiks (Schaumkronen) die meteorologische Gefahr erkennen.

Es ist ein Spass, sich vor den Hochhäusern immer höher tragen zu lassen, bis endlich im 11 Stock die schöne Chicca aus dem Fenster schaut. Wenn du jetzt noch im spanischen perfekt bist, hast du für heute Abend schon ein Date! Aber auch der Blick auf die Weiten des Pazifiks sind toll. Mit dir geniessen an guten Tagen mehrere Dutzend peruanische Piloten die tollen Flugbedingungen, die hier fast täglich gleich sind.

Uns zieht es dann weiter in den grössten Sandspielplatz, den man sich vorstellen kann. Wir haben keine Kinder dabei, der Sandspielplatz ist für Gleitschirmpiloten. Iquique heisst der Ort im Norden von Chile. Er liegt am Rande der Ata Carma Wüste, es ist eigentlich total trocken, sandig und staubig. Aber zum Fliegen ist es ein wahre Eldorado. An dem Küstengebirge steigen die dynamischen, laminaren Aufwinde bis auf 900 m über Meeresniveau.


Bei Starkwind legt man den Schirm fast in der Küstenebene auf, startet rückwärts und schjggi-schjaggi (Slowenische Ausdruck für Soaren ) bist du oben an der Geländekante. Die Küste um Iquique hat in Wellenform eine Ausdehnung von 100 km bzw. knapp 200 km. Das nutzen furchtlose Piloten zum Streckenfliegen. Furchtlos deshalb, weil hinter jedem Wellennase ein "schlimmes" Lee durchflogen werden muss. Der Hunderter wurde im November öfters geflogen. Wir haben den 55er probiert, haben drei sanfte Lees hinter uns gebracht und sind dann im "Cerementerio Numero uno", so Ernesto, unser chilenischer Fahrer, wider am Boden gestanden. Ein kurzer Fussmarsch zur Küstenstrasse und der nächste Flug wird in Angriff genommen.

Direkt über Iquique ist der Startplatz Alto Hospiz, ca. 550 m über dem Pazifik. Hier geht es genauso super zum Fliegen, nur der Streckenflug entfällt, weil der Landeplatz am Strand vom Iquique gerade noch im Gleitwinkelbereich moderner 1 oder 1-2 er Geräte ist. Der Landeplatz am Strand ist gross und weit.

Der Flug kann auch hier Stunden dauern. Neben und über dem Startplatz kann man sich im dynamischen Aufwind spielen, gelegentliche Thermiken auskurbeln, mal links oder rechts die Kante entlang fliegen... solange bis du das Gelände auswendig kennst.

Einige Sicherheitshinweise zum Fliegen bei Starkwind:

  • ist der Wind beim Start oben an der Kante zu schwach, sinkst du ohne Chance auf Toplanding ab. Unten muss ein Strandlandeplatz sein
  • ist der Wind an der Kante oben zu stark, kannst du am Strand den Schirm aufziehen und dich am Hang hocharbeiten
  • starte immer mit eingehängten und richtig eingestellten Beschleuniger. Fliege bei Starkwind nicht hinter der Kante
  • machst du ohne Beschleuniger keine Vorwärtsfahrt, dann ist der Zeitpunkt gekommen, am Strand unten zu landen. Der Wind oben an der Kante ist zum Landen schon zu stark.

In dem eingangs beschrieben Paracas , ca. 400 km südlich von Lima liegt die Höhendifferenz nur bei ca. 40 m. Das Fliegen macht hier aber genauso viel Spass, weil man ewig in der Luft bleiben kann. Wingover und die "Waschmaschine" (Nicken) bringen Spass ohne Ende. Auch das "Stehen" in der Luft, 20 cm über Grund ist eine beliebte Übung. Bodenberührungen mit Fuss oder Hand bedürfen einiger Übung, doch dann will auch diese Figur gelingen.

Bei einer Überhöhung der Küste von ca. 50 m kannst du zur Kathedrale vorfliegen, einem bizarren Felskonstruktion , senkrecht aus dem Wasser aufsteigend. Ein Felsbogen ist unterspült, sodass ein Fuß im Pazifik steht. Landemöglichkeit unter dir: keine! G´fui/Feeling: atemberaubend!


Im Landesinneren bietet sich fast jeder Berg zum Starten an. Wir sind im Urubambatal in der Nähe von Cusco und in den Cordillera Blanca bei Huaraz geflogen. Die Startplätze liegen hier immer über 3.000m, die Landeplätze zwischen 2000 m und 3000 m. Die Dimensionen sind gewaltig, so aber auch die thermischen Winde, Talwinde, Düseneffekte und Kaltluftausflüsse aus Überentwicklungen.

Der Startplatz ist meist ein abgeerntetes Feld, die Campesinos arbeiten direkt daneben, schauen interessiert zu und unterbrechen ihre Arbeit, um unsere Startvorbereitungen zu verfolgen. Ohne Wind braucht man steile oder lange Startplätze. Die Höhe spürst du, wenn du den Schirm auslegst, herumläufst. Wir sind immer faul mit dem Auto/Taxi zum Startgelände gekommen. Bist du zu Fuss unterwegs, brauchst du eine gute Akklimatisation.


Der Schirm reagiert auf die dünne Luft mit deutlich gesteigerter Fluggeschwindigkeit und einer enormen Kurvendynamik. Mein Octan liess sich ohne Steuerleinenzug leicht bis zur Spirale bringen! Auch die Thermik fühlt sich in dünner Luft dynamischer an. In Bodennähe ist sie stärker zerrissen und wackliger. Oben wird es grösser und ruhiger, dafür hat es aber satte Aufstiegswerte. Also nichts für Weicheier und Anfänger. Franz, unser Schweiz-Peruaner im Urubambatal flog glaubhaft schon auf über 6300 m.

Franz zeigte uns die fliegerischen Möglichkeiten in der Nähe des Machu Picchu. Bei und untern den Antennas sowie am Mirador starteten wir zu tollen andienen Flügen. Auch hier im andienen Bereich soart man zum Gipfel oder/und dreht thermisch auf. Flüge solange die Meteorologie stimmt.


Die Landungen sind neben dem tollen Ausblick auf die vergletscherte 6000er Gipfel oder Vulkane das spannenste. Auch hier bist du deutlich schneller unterwegs. Auf 2500 m oder höher landet in den Alpen selten einer. In den Anden ist dies aber Standard. Früher bremsen und konsequent bis zum Anschlag herunterziehen, lautet die Devise.

Huaraz ist das andiene Zentrum Perus. Der Huascarán mit über 6700 m steht hier zum Besteigen bereit. Wir starten lieber in Buenos Aires, einem kleinen Indiodorf oberhalb des Rio Santa. Nach einem Absaufer wegen Bewölkung starten wir noch zu einer Rafting Tour. Grosse Angst, wegen meines alten Spruches, dass das Ertrinken der grässlichste Tod für einen Flieger ist, aber es geht alles gut und hat auch Spass gebracht, die Wellen abzureiten.

Über die Kultur Perus bzw. der Inkas könnte ich noch mal soviel schreiben, aber hier geht´s nur ums Fliegen. Toll war´s und schade, das es vorbei ist. Danke noch an Aerosport für das uneigennützige Ausleihen von One und Octan.


© by Klaus Schwarzer, 12/00 ... Viel Spass beim Lesen.